Muss man tatsächlich jedem Trend hinterherlaufen? Wie soll man, mit über 40, bei all dem "Insta-Wahnsinn" mithalten? Und wie wichtig ist eigentlich der perfekte und makellose Auftritt in den neuen Medien? Diesen und anderen lebenswichtigen Fragen gehen unsere Autorin und ihr inneres Schwein diesmal auf den Grund:
Bloggen, posten, twittern, unbedingt noch eine Story teilen…und dann bitte noch ein Highlight setzen. Das ganze ordentlich verlinken und die richtigen Celebrities markieren #share-on-facebook#newpost#ich-bin-jetzt-auch-bei-instagram.
Seit meine "Newmedia"- Advisorin mich unter ihre Fittiche genommen hat bin ich so was von voll "newmedia", voll verlinkt und megahip.
Dranbleiben ist hier das Motto. Deine Stories müssen interessant sein, jeden Tag ein Post reicht für den Anfang. Im Ernst jetzt? Jeden Tag?? Was soll ich denn bitteschön jeden Tag posten?? Etwa, wie ich gerade die Rühreireste von Ben´s Abendessen aus der Sofaritze kratze? Oder die Mc Donald´s Verpackungen und einzelne #Pommes-stücke-reste in meinem Auto aufsammele? Content ist wichtig! Bereite das ganze #instacool#instastylish auf und stell deinen Followern immer Fragen. Du musst sie einbinden und an deinem Leben teilhaben lassen. Mach es wie Cathy, oder Lisa. Sei authentisch...sei du selbst #me#nomakeup...Doch wie um Himmels Willen, soll ich mit #Ü40 aussehen wie eine supersüße #Spielerfrau oder ein #Supermodel #Promi oder #Frau-vom-Promi?
So viel Photoshop gibt es gar nicht.
Abgesehen davon, dass ich nicht mal so genau weiß, wie ich diese Bilder überhaupt photoshoppe...Mein inneres Schwein schaut mich ratlos an. Es steht vom Schreibtischstuhl in meinem Büro auf und marschiert in die Küche. Toll, sogar mein inneres Schwein findet meine Probleme nicht interessant genug, um mir zuzuhören. Zwei Minuten später kommt mein inneres Schwein mit einem großen Stück Schokoladenkuchen mit Sahne zurück Jawohl, Schlagsahne! Zucker hilft schließlich beim denken und Schokolade hilft bei Frust. Hab ich gelesen...irgendwo jedenfalls. Ich beiße in den leckeren Schokoladenkuchen. Ja, mein Schwein hatte wiedermal Recht und dreht sich zufrieden auf seinen Bauch, um ein Nickerchen zu halten. Ich fühle mich auch schon viel besser #wer-braucht-schon-instagram? Beim zweiten Bissen Schokokuchen halte ich erschrocken inne. Da war doch was? Bauch?
Ich schaue mein letztes Urlaubsfoto an und da ist er. Der Bauch.
Och nö, ich wollte doch eigentlich mit der #Nachdem-Urlaub-Diätprogramm anfangen. Da ich ja jetzt instagrame, sollte schließlich auch mein Lifestyle mein Image matchen, sagt die "New-Media-Beraterin". Schöne Haare, schöne Hände und ein Teint mit Glow.
Der Body durchtrainiert, straff, gestählt und möglichst Cellulite frei. Ach ja, und der Bauch muss weg! Das heißt definitiv, ich muss meine Ernährung überdenken und anpassen. Weniger Kaffee, mehr #Matchatee, #ingwerlutschen, #nosugar und #bloß-keine-Kohlenhydrate! Das was meine "New-Media-Advisorin" meint, heißt auf Gutdeutsch: Diät!
Ich schiebe den Schokoladenkuchen weit weg von mir. Doch bei dem Wort Diät, reißt mein inneres Schwein sofort erschrocken die Augen auf und beginnt nervös zu grunzen. Schweine machen keine Diät. Auch Instaschweine nicht! Wie war das nochmal mit #Sei-du-selbst #Sei-authentisch??? Diäten sind sinnlos. Da frisst du dir über Jahrzehnte eine stattliche Speckschwarte an und jetzt sollst du sie, wegen Instagram, Jugendwahn, Sportfreaks und Insta-groupies, weghungern?
Ich denke kurz über Photoshop nach...kann man Speckschwarten eigentlich weg-photoshoppen?? Also nach dem Motto "Pimp my pig"? Mein inneres Schwein schaut mich schockiert an.
So eine Speckschwarte kommt schließlich nicht von ungefähr...sie ist mühsam angefressen. Außerdem ist so eine Speckschwarte alles andere als günstig! Wenn ich da an meine Kreditkarten Abrechnungen der letzten Jahre denke und die Abbuchungen unseres Lieblingsitalieners, Gourmettempeln und dem Onlineweinhändler addiere, kommt eine beachtliche Summe zusammen. So eine Speckschwarte ist Luxus, raunt mich mein inneres Schwein an. Sei stolz drauf!
Na gut, ich beschließe mit meinem inneren Schwein über die Diät zu verhandeln. Nach einer Weile Hin-und Her, einigen wir uns auf einen sehr guten Kompromiss. Wir halten Diät, und essen den Schokoladenkuchen nicht.
Dafür trinken wir das, was wir essen könnten! Ich gehe in die Küche und hole ein großes Glas, kalten Weißwein. Als ich zurück ins Büro komme, nickt mir mein inneres Schwein beruhigt zu und nimmt einen großen Schluck Weißwein.
Wo war ich nun stehen geblieben? Ach ja, der Blogpost. Während ich versuche mit hochrotem Kopf einen möglichst lässigen, interessanten, coolen, aufregenden, authentischen, lustigen, zeitgeistigen, Blogpost zu schreiben, kommt mein Sohn Ben in mein Arbeitszimmer. Er schaut mir über die Schulter und fängt sich an vor Lachen auf dem Boden zu rollen. Also, mein Blogpost muss ziemlich #lustig sein, und die Jugend voll ansprechen #Ehrenmann #Ich-bin-sowas-von-Insta.
Ben beginnt auf seinem Telefon zu tippen und sofort beginnt sein Telefon hundertfach zurückzupiepen...#newmessage
Neugierig stehe ich auf und schaue in sein Telefon. Auf meine Frage, was denn nun so wahnsinnig lustig sei, und warum er nun ausgerechnet in meinem Arbeitszimmer, hunderten seiner "Bros" und seiner gesamten Followerschaft sowie seinen Youtube Abonnenten irgendwelche wichtigen messages schicken und posts teilen muss, bekomme ich eine ernüchternde Antwort.
"Statt Blogpost, hast du gerade deinen neuen BOGPOST geteilt! #bigmistake #mymom@instagram #lol“, sagt Ben.
Ach herrje, kann ich das Rückgängig machen. Ich und mein inneres Schwein nehmen einen großen Schluck Wein zur Beruhigung. Das ist #megapeinlich #aus-mir-wird-nie-was #will-im-Boden-versinken.
Der Weißwein war also scheinbar nicht die beste Variante. Hätte ich bloß den Schokoladenkuchen gegessen.
Ben drückt vier, fünf Mal auf meinem Laptop herum und rettet meinen BOGPOST. Er ist wirklich Klasse. Wie gekonnt, er diese Tools beherrscht. Ich bin begeistert. Er versieht meinen neuen Blogpost noch mit den richtigen Hashkeys und verspricht meinen Post in seiner Story an seine "Crew" und seine "Bros" zu teilen. Ben klopft mir auf die Schulter, gibt mir einen Kuss und sagt, dass ich wirklich "saukomisch" bin. Ich solle weitermachen, denn ich bin authentisch und genau das will die Community...
Na gut, denke ich mir. Ich schaue liebevoll auf mein "inneres Schwein" und tätschele ihm den Speckbauch. Nein, wir pimpen das Schwein nicht. Wir "facetunen" und "photoshoppen" das Schwein auch nicht. Wir sind authentisch. #Das-mag-die-community #Insta-kann-mich-mal #Facebook-auch #Bogpost.
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Petra (Montag, 05 August 2019 22:28)
Liebe Dominique, es ist seeeehr interessant was das „Schwein“ so bewegt und erlebt � Ich verfolge Deinen Blog mit Spannung und hoffe auf eine baldige Fortsetzung und weitere Geschichten! Viel Erfolg,��
Liebe Grüße Petra